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Cities: Skylines im Test – Endlich wieder guter Städtebau

Als Jeremy Wright neben 75 anderen Personen an der Haltestelle auf seinen Bus wartet, bietet sich ihm ein merkwürdiges Bild: Der quälende Stau vor ihm hat auch zwei Krankenwagen eingesogen, die lakonisch auf die Weiterfahrt warten. Während die Straßen genauso voll sind wie die Haltestelle, an der Jeremy seinem Schicksal entgegensteht, hat sich im Industriegebiet um die Ecke bereits eine violette Kruste auf den Boden gelegt. Und die Steuern sind auch wieder erhöht worden. Immerhin: Es sind keine 2 Minuten Fußweg von seinem Haus bis zum städtischen Friedhof. Insgesamt ist Jeremy auch zufrieden und twittert fröhlich: “Endlich eine neue Schule! #nomorehomeschooling”.

Ich geb’s zu: Auch meine Kleinstadt Westvalley leidet mit ihren knapp 10.000 Einwohnern an einigen Kinderkrankheiten. Der Verkehr fließt zäh durch die Straßen, die Umweltverschmutzung nimmt beunruhigende Zustände an und manchmal tropft auch kein Wasser aus dem Hahn. Es sind schwierige Zeiten in Westvalley – da muss jeder den Gürtel enger schnallen. Und dennoch hat das Städtchen seinen eigenen Charme: In der dünn besiedelten Vorstadt mache ich Sandkästen, Liegestühle und Familienautos aus, während auf den Hochhäusern im Gewerbegebiet große Bilder von Hamburgern thronen. Vielfältigkeit ist das Besondere an Cities: Skylines: Jede Entscheidung, die man für seine Bürger trifft, spiegelt sich unweigerlich im Stadtbild nieder. Jeder Bürger hat einen Namen, Alter, Bildungsgrad und einen Wohnort; jedes Auto seine Route. Und wenn bescheidene Straßenplanung auf überfüllte Wohnviertel trifft, dann trägt der Bürgermeister die Schuld am Stau – auch, wenn dadurch die Feuerwehr zu spät zum Brand kommt.

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Ein großes Spiel aus einem kleinen Studio

Cities: Skylines ist ein klassischer Städtebau-Simulator. Damit steht er in vielen Aspekten ganz in der Tradition von SimCity – und zieht daraus seine Überzeugungskraft. Man macht sich nichts vor: Der neueste Ableger der beliebten SimCity-Reihe war nicht der Brenner. Kleine Maps, vereinfachter Städtebau, schwache Technik: Viele Fans der Reihe wurden enttäuscht. Und dann kam Entwickler Colossal Order und warf Cities: Skylines nach anderthalbjähriger Entwicklung auf den von SimCity dominierten Markt. Dabei landete das 13-köpfige Team einen Überraschungshit: Die Spieler sind begeistert, wie frisch das finnische Studio alte Tugenden des Genres aufbereitet hatte.

Dazu kommt, dass Colossal Order mit ihren “Cities in Motion”-Titeln nur halbgaren Erfolg feierten. Mit Cities: Skylines wollten sie vor allem eins: Ein größeres Spiel entwickeln. Das Ziel: Eine Stadt mit einer Million Bewohnern sollte simuliert werden können. Dafür bemühte sich das Team, die Routen jedes Bürgers und jedes Fahrzeugs genau zu berechnen – samt aller Auswirkungen auf Zufriedenheit und Verkehr.

„Cities: Skylines fordert viel Eigeninitiative“

Den Vergleich mit der SimCity-Reihe muss Cities: Skylines aber nicht scheuen. Der Simulator fährt nämlich alle wichtigen Elemente auf, die zu einer solchen Simulation dazugehören: Für den Verkehr müssen Straßen gesetzt, Buslinien geplant und Brücken gebaut werden. Natürlich dürfen Feuerwehr, Friedhöfe, Polizei und Müllabfuhr auch nicht fehlen. Und das sind erst die Grundbedürfnisse: Die Bürger wollen Parks, wenig Lärm und eine Mülldeponie, die sich außer Sichtweite befindet. Besonders bei der Stadtplanung sieht man Cities: Skylines sein Vorbild an. Die Räume an den Straßen werden mehrfarbig in Wohn-, Gewerbe- und Industriegebiete gegliedert. Gebäude und Einwohner kommen dann von alleine – je nachdem, wie der Bedarf nach den jeweiligen Gebieten ist.

Leider ist die Stadtplanung bisweilen recht fummelig ausgefallen. Straßen werden automatisch an den Verlauf angepasst – so entstehen krumme und nicht selten hässliche Fahrwege. Der Anteil der Perfektionisten ist in einem solchen Titel nicht gerade gering. Da nutzt der Bulldozer-Button doch schnell ab. Auch die Planung der Gebiete ist anfangs auf Automatik geschaltet und setzt große Abschnitte unter eine Farbe. Wer es präziser möchte, muss die anderen Werkzeuge nutzen. Da ist Eigeninitiative gefragt: Ein eigenes Tutorial gibt es nicht und die Ratgeber-Texte fallen nur mittelprächtig aus.

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Volle Kontrolle

Für die Optimierung unserer Stadt gibt uns Cities: Skylines einige Werkzeuge an die Hand. Statistiken für Faktoren wie Stromversorgung, Gesundheit, Kriminalität und Bildung sind einen Mausklick entfernt. Wenn die Stromversorgung oder die Müllabfuhr nicht richtig laufen will, können wir auch die Budgets verändern – mehr Geld, mehr Leistung. Wenn wir schon mal im Fenster sind, können Steuern angepasst und Darlehen in Anspruch genommen werden – natürlich ist ein ausgeglichener Haushalt auch in Cities: Skylines unabdingbar. Vor allem deswegen, weil Darlehen erst freigeschaltet werden müssen und insgesamt nur drei zur Verfügung stehen.

Erfrischend sind die Richtlinien, die wir für einzelne Stadtviertel aufstellen können. Zu viele Brände? Jeder Haushalt braucht einen Feuermelder! Krächzen die Kraftwerke unter dem Stromverbrauch? In jedes Haus kommt ein Stromzähler. Cities: Skylines bietet zahlreiche Anpassungsmöglichkeiten, um Feinjustierungen an seiner Stadt vorzunehmen. Damit wir auch den Überblick behalten, versetzt uns das Spiel je nach Thema in eine andere Ansicht. Welche Haushalte haben Wasseranschlüsse und werden von der Müllabfuhr bedient? Wo fährt der Bus entlang? Und wo fährt die Feuerwehr hin, wenns brennt? Das alles trägt unheimlich zur Kontrolle über die Stadt bei – erinnert aber auch an SimCity. An der Orientierung an EAs Aufbauspiel machen die Finnen keinen Hehl.

Die Richtlinien schalten wir wie Gebäudegruppen und Steuerungsmöglichkeiten erst mit steigender Bevölkerung frei – bei jedem der Meilensteine gibt es dazu eine finanzielle Belohnung. So wirft Cities: Skylines den Spieler nur in lauwarmes Wasser und nimmt ihn bei der Städteplanung etwas an die Hand. Die Menüs für die Regulierung hätten stellenweise benutzerfreundlicher ausfallen dürfen. Zum Beispiel bei der Festlegung der Steuern ist viel Kleinarbeit gefragt – da hätten ganz simple “Plus”- und “Minus”-Buttons den Komfort erhöht und fummeliges Reglerschieben verhindert.

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Erfrischende Gestaltung

So trocken Wirtschaftssimulationen manchmal sein können – bei Cities: Skylines macht selbst die Feinregulierung Spaß. Durch den lebhaften Soundtrack und die belohnenden Meilensteine versinkt man nur zu schnell stundenlang in den Städtebau. Dank der übersichtlichen Menüführung, den umfassenden Statistiken und der vollen Kontrolle über viele Aspekte der Stadt ist eine schöne Metropole schnell gebaut- und danach ist man auch bereit, sie zur Perfektion zu bringen. So können unendlich viele Stadttypen hochgezogen werden – man kann sich austoben. Das nahm sich auch die Community zu Herzen und baute vereinsamte Ein-Mann-Siedlungen, von Abwasser überschwemmte Großstädte oder die Stau-City schlechthin.

Andere Simulatoren haben Berater, Cities: Skylines hat Tweets. Richtig gehört: In einem Twitter-Abklatsch geben die Bewohner ihre Nöte und Meinungen kund. Wenn die ersten Kraftwerke stehen, gibt Travis Blackwell seine Begeisterung unter dem Hashtag #juicedup zum Besten. Dabei kommen selbst skurrile Tweets zustande: Einer meiner Bürger vermutete doch glatt, dass sich unter der Stadt die Forschungseinrichtung Black Mesa befände – #freemen. Damit hat Cities: Skylines die drögen Berater aufgefrischt und eine sehr unterhaltsame Funktion eingebaut, die gleichzeitig zuverlässig an negative wie positive Entwicklungen erinnert. Leider zieren in der deutschen Version häufig Rechtschreibfehler die Menüs. Es sieht nicht schön aus, wenn man von “500.000 Geld” spricht. Solche Fehler sind einfach behoben, trüben aber das Gesamtbild der Lokalisierung. Angesichts der Größe des Studios ist das aber nur ein kleiner Kritikpunkt.

Dass Cities: Skylines keinen Preis für die schönste Grafik gewinnt, das ist kein Beinbruch. Viel Wichtiger ist doch, dass es in der Stadt ordentlich wuselt. Genau: Dank der Berechnungen jedes Bürger tritt in der Stadt sofort ein heimelnder Wusel-Effekt auf, der das Stadtbild so viel sympathischer macht.

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Die Community mischt mit

Wenn die Spieler eigene Inhalte für einen Titel erstellen dürfen, dann ist viel für die Motivation getan. Und solche Möglichkeiten bietet Cities: Skylines: Neben einem Map-Editor gibt es auch einen Objekt-Editor. Hier darf zwischen verschiedenen Vorlagen aus Gebäuden, Kreuzungen, Requisiten ausgewählt und selber gestaltet werden. Dafür bietet das Spiel eine ganze Reihe an Teilen, die den Objekten hinzugefügt werden dürfen. Wer lieber einen Grill und eine Schaukel vor seine Feuerwache stellt, der kann das hier tun. Aber auch komplett eigene Gebäude dürfen erstellt werden.

Wie gut das funktioniert, zeigen die 30.000 Objekte zu Cities: Skylines im Steam-Workshop. Darunter befinden sich Gebäude, Karten und sogar eigene Bäume, die man sich kostenfrei für das Spiel herunterladen darf. Super!

Unser Fazit:
Cities: Skylines gilt in der Community längst als das bessere SimCity. Der Vergleich liegt nahe, denn die Finnen haben sich an den Werkzeugen von SimCity einiges abgeschaut. Daraus haben die Finnen von Colossal Order aber einen süchtig machenden und spaßigen Städtebau-Simulator gebaut – und damit den Schmerz von SimCity etwas gelindert. Cities: Skylines ist groß, es ist eingängig und lässt jeden Spieler genau die Stadt bauen, die er sich gerne wünscht. Die Vielzahl an Informationen und Werkzeugen nähren den Wunsch, die Stadt immer perfekter zu machen. Fehlender Komfort und merkwürdige Rechtschreibung trüben den Spielspaß nur geringfügig.

Cities: Skylines ist endlich wieder ein wirklich guter Städtebau-Simulator. Alle Freunde von der Anno- und SimCity-Reihe sind bestens beraten, einen Blick auf Cities: Skylines zu riskieren.

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