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Assassin’s Creed: Syndicate im Test: Damit haben wir nicht gerechnet

Kutschen auf der Straße, Schornsteine und Smog soweit das Auge reicht und eine weltbekannte Uhr, die aus dem Nebel ragt. Willkommen in London, willkommen zur Regentschaft von Königin Viktoria und willkommen zu Assassin’s Creed: Syndicate. Wir schreiben das Jahr 1868, begleiten die Zwillinge Jacob und Evie Frye, wüten durch eine Metropole, die sich mitten im Aufschwung befindet und decken dabei eine große Verschwörung auf. Das Motto dabei lautet: Anstatt Geschwisterliebe hagelt es Geschwisterhiebe und das nicht zu wenig. Wir haben England für euch auf den Kopf gestellt und teilen euch mit, was wir dabei so erlebt haben.

Ein neues Jahr, ein neues Assassin’s Creed. Kaum ein anderes Spiel spaltet Jahr für Jahr die Spielergemeinde so sehr, wie der Historien-Riese aus dem Hause Ubisoft. Innovationsarmut, technische Mängel, eine Geschichte ohne Hand und Fuß und austauschbare Settings sind nur vier der Kritikpunkte, die Ubisoft jährlich einstecken muss. Gekrönt wurde das Ganze mit einem technischen Desaster zum Release von Assassin’s Creed Unity. Nun soll Syndicate alles besser machen und wir wurden durchaus überrascht. Ob das positiv ist, erfahrt ihr in unserem Test.

Assassins Creed Big Ben

Aus französischer Revolution wird industrielle Revolution

Zugegeben: Trotz technischer Mängel und vielen Bugs war Paris in Assassin’s Creed: Unity ein sehr beeindruckender und vor allem belebter Schauplatz, der an vielen Stellen für offene Münder sorgte. Doch London in Zeiten der industriellen Revolution ist dabei nicht weniger spannend. Alexander Graham Bell ist dabei an seinem Durchbruch zu arbeiten, der Kutschenverkehr auf den Straßen verstößt gegen jegliche Straßenverkehrsordnung und die Eisenbahn feiert ihre Premiere. Mittendrin wir, das Zwillingspaar Jacob und Evie Frye. Alles könnte so friedlich sein, wären da nicht diese Templer. Der berüchtigte Untergrund im London des 19. Jahrhunderts wird zum Schauplatz einer Verschwörung und diese gilt es zu zerschlagen. Das geschieht zu Fuß, zu Wasser oder zu Pferd.

Die Gassen der Stadt, die umherfahrenden Kutschen und Züge, die Wasserspiegelungen auf der Themse und die weltbekannten Bauwerke sorgen jederzeit für eine sehr dichte Atmosphäre, in der man sich gerne für einige Stunden verliert.

Assassins Creed Syndicate Kutsche

Mit zwei Pferdestärken durch London

Zu Pferd oder besser gesagt mit der Kutsche dürft ihr allerdings keinen Realismus erwarten. Das ist für das Spielgefühl aber auch gut so. Die Pferde besitzen gefühlt einen mehrfach abgeschirmten Stahlschädel und rammen alles weg, was ihnen in die Quere kommt. Bei Missionen wo wir andere Kutschen verfolgen müssen, um ihre Insassen zu jagen, führt das allerdings zu coolen Manövern. Lediglich an die Steuerung der Kutschen muss man sich etwas gewöhnen. Die ist anfangs recht schwammig, aber wenn man den Dreh einmal raus hat, geht es ganz gut von der Hand. Als Fortbewegungsmittel haben wir es allemal lieb gewonnen und ziehen es oftmals dem Schnellreisesystem der Aussichtspunkte vor. Lediglich die Framerate geht in der 900p-Auflösung manches mal in die Brüche. Jedoch nicht so gravierend, dass es extrem störend oder ruckelnd wäre.

Wer weder die Schnellreise benutzen mag, noch gerne Kutschen fährt, der muss noch lange nicht zu Fuß laufen. In Assassin’s Creed Syndicate habt ihr neben diesen beiden Möglichkeiten ergänzend die Wahl, ob ihr mit eurem Zug durch London fahren wollt, der gleichzeitig als Missionsbasis dient oder einfach als blinder Passagier auf der Themse die umherfahrenden Schiffe unsicher macht. Auf den Schiffen kann man sich nämlich nicht nur fortbewegen, sondern auch Templer ärgern und Ladungen klauen. Wir sind eben ein waschechter kleiner Rebell. Auch die Fortbewegung von Schiff zu Schiff funktioniert dank der überarbeiteten Physik-Engine richtig gut. Kleinere Clipping-Fehler begegnen uns allerdings auch hier. Manches mal bleiben die Texturen unserer Gegner hängen, wenn wir sie vom Schiff oder von der Kutsche werfen wollen. Alles in allem sind diese Fehler aber nicht halb so schlimm, wie sie in Assassin’s Creed Unity waren.

Wer doch zu Fuß gehen mag, hat es fortan aber auch einfacher als vorher. Ein nützliches Gadget unterstützt uns dabei: der Seilwerfer. Ähnlich wie ein Enterhaken schießen wir uns damit von Dach zu Dach und überwinden so größere Häuserschluchten, ohne auf dem Boden aufsetzen zu müssen. Auch der Weg vom Boden aufs Dach ist mit dem Seilwerfer vereinfacht und wir sind dank unseres Gadgets in Windeseile oben. Und wer es doch lieber nostalgisch mag, der kann immer noch zu Fuß gehen. Dank der verbesserten Physik-Engine bleiben wir auch an weniger Objekten hängen, als es früher der Fall war.

Frye-Zwilinge 2

Ein dynamisches Duo

Und damit kommen wir zu einem weiteren großen Pluspunkt an Assassin’s Creed Syndicate. Die Rede ist von unserem dynamischen Heldenduo. Die Zwillinge Jacob und Evie Frye sind beide nicht auf den Mund gefallen, haben klare Ziele vor Augen und amüsieren uns in vielen Situationen. Gerade der Kontrast der beiden Geschwister sorgt für einige heitere Momente. So will Jacob doch unbedingt mit dem Kopf durch die Wand und alles mit Fäusten und roher Gewalt klären, ist Evie doch eher der vernünftigere Part, die oftmals nur den Kopf schütteln kann über ihren hitzköpfigen Bruder. Während Jacob dabei ist seine Straßengang „The Rooks“ zu gründen und London so zu erobern, geht Evie dabei taktischer vor. Auch in der Spielweise der beiden spiegeln sich diese Eigenschaften wieder – und das ist ein Punkt, der uns sehr positiv aufgefallen ist. So sind wir mit Jacob im Nahkampf bedeutend stärker als Evie, wohingegen sie im Schleichen und stillen Ermorden ihre Stärken hat. Die Talentbäume der beiden unterstützen diese Spielweisen dabei. Auch hier hat Syndicate seinen Vorgänger Unity übertroffen, denn Arno war leider ein wenig farblos im Vergleich zu den anderen Assassinen der Reihe.

Die Dialoge zwischen den beiden, wenn sie sich wieder einmal sticheln oder gegenseitig aufziehen, machen immer Spaß und sorgen für ein Grinsen im Gesicht. Doch die witzigen Dialoge sind nicht nur dem Storyboard- und Drehbuchautor zuzuschreiben, sondern der gelungenen Synchronisation. Aufgrund der gegebenen Tatsache, dass wir uns in London befinden liegt es natürlich nahe, dass Spiel auf Englisch zu spielen und dort brilliert es durch die unterschiedlichen Akzente und Dialekte. Ein original englisches „Well…“ kann man eben nicht lupenrein übersetzen. Wer allerdings lieber auf Deutsch spielt, muss sich dennoch keine Sorgen machen. Die Vertonung ist Ubisoft auch in deutscher Sprache sehr gut gelungen, lediglich einige Nebencharaktere hätten eine passendere Stimme bekommen können. Was uns leider wirklich negativ aufgefallen ist: Wenn wir mit deutscher Tonspur spielen, ist der gesprochene Ton nicht synchron mit den Lippenbewegungen der Charaktere. Das ist echt ärgerlich.

Syndicate Starrick

Höhepunkte sind nur so gut wie ihr Kontrast

Was wäre Assassin’s Creed ohne wichtige historische Persönlichkeiten, einem Begleiter an der Seite und einem markanten Bösewicht? Zu den Frye Zwillingen gesellt sich zum einen Henry Green, der uns als Anführer der Assassinen in London vorgestellt wird und uns durch die Missionen leitet. Zum anderen haben wir wichtige Persönlichkeiten wie Alexander Graham Bell und Charles Dickens. Auch diese Persönlichkeiten sind stets charmant im Spiel integriert. Doch kein Held kann glänzen ohne einen signifikanten Bösewicht. Was wäre Far Cry 3 ohne Vaas gewesen? Was ist Batman ohne den Joker? Ihr merkt, ein Höhepunkt kann nur dann glänzen, wenn es einen passenden Kontrast gibt – und dieser Kontrast nennt sich Crawford Starrick.

Starrick ist zwar ein klischeebehafteter, aber sehr markanter Bösewicht, der uns nachhaltig im Gedächtnis bleibt. Seine psychopathische, aber zumeist ruhige Art hat uns schnell in den Bann gezogen. Nur leider merkt man seine Präsenz erst so wirklich in der zweiten Hälfte des Spiels. Er leitet die Templer in London und hat quasi überall seine Finger im Spiel. Wir können uns gut vorstellen, dass er einigen Spielern als Bösewicht im Gedächtnis bleiben wird.

Assassins Creed Jacob

Sind die Nebenaufgaben wirklich optional?

Bis es zum Showdown kommt, erlebt ihr viele originelle und spaßige Hauptmissionen. Doch Serienkenner wissen, dass es in Assassin’s Creed auch immer vielerlei Nebenaufgaben gibt, die zumeist aber nur optional sind. Von Attentaten bis hin zu Sammelaufträgen sind wir schon über alles gestolpert, was man in Open-World-Spielen so an Nebenaufträgen kennt. In Syndicate ist das Ganze natürlich nicht viel anders, übertreibt es diesmal aber nicht so. Es ist ein gesundes Maß an Nebenaufgaben, ohne sich erschlagen zu fühlen davon. Ärgerlich ist nur, dass sich diese Sidequests häufig wiederholen und leider nicht mit der gleichen Abwechslung prahlen können wie die Hauptmissionen.

Meist erledigt ihr Aufträge in einem bestimmten Gebiet, provoziert einen Bandenkrieg und erledigt anschließend den Gang-Boss. Nach und nach übernehmt ihr so mit eurer Gang die Kontrolle über London und gewinnt an Macht. Einigen sauer aufstoßen dürfte dabei der Fakt, dass euch das Spiel zwingt eine gewisse Mindestanzahl an Nebenaufgaben zu erledigen. Entscheidet man sich dagegen, wird man die letzten beiden Sequenzen der Kampagne nicht spielen können. Wir fühlen uns erinnert an Batman: Arkham Knight, das von der gleichen Mechanik Gebrauch gemacht hat. Bei Batman waren die Aufgaben aber auch abwechslungsreicher als bei unseren Zwillingen.

Frye Zwillinge

Wo Gangs regieren, wird gekämpft

Nicht nur die Mechanik der Sidequests erinnert uns an Batman, sondern auch das Kampfsystem. Von Jahr zu Jahr haben sich das Free-Flow-Kampfsystem vom Dark Knight und das serientypische Kampfsystem von Assassin’s Creed soweit angenähert, dass man sie inzwischen miteinander vergleichen kann. Zwar finden wir dass es bei Batman noch immer besser und flüssiger von der Hand geht, doch das kämpfen macht dennoch großen Spaß. Schlagringe, Klingen und diverse Schusswaffen unterstützen uns dabei.

Aufwerten und kaufen können wir die Waffen und Monturen entweder über Ingame-Währung oder aber über den Echtgeld-Shop. Richtig gehört, auch Assassin’s Creed Syndicate ist nicht frei von Mikrotransaktionen. Die Menüeinblendungen der Mikrotransaktionen sind zwar stets präsent, bleiben aber zum Glück durchweg optional. Auch brauchen wir dieses Mal keine lästigen Begleit-Apps um Truhen im Spiel öffnen zu können.

Syndicate Gang Fight

Und dann gibt es noch die Gegenwart

Neben unserem Historien-Abenteuer gibt es wieder einmal Ausflüge in die Gegenwart. Shaun Hastings und Rebecca Crane jagen noch immer die Templer und versuchen an wertvolle Informationen zu gelangen. Diesen Part erleben wir leider komplett passiv als Zuschauer eines namenlosen Charakters, der nur Novize genannt wird. Die potential-verschenkende Behandlung der Gegenwart seit Desmonds Ableben wird also so beibehalten. Da bleibt nur zu hoffen, dass in kommenden Teilen hier wieder mehr Tempo und Augenmerk drauf gelegt wird.

Unser Fazit:
Wer hätte das gedacht. Mit Assassin’s Creed Syndicate besinnt sich die Reihe auf ihre Stärken und schafft dabei den besten Ableger seit langem. Ich mochte zwar das Setting in Unity sehr gerne, doch mit Arno wurde ich zu keiner Stelle wirklich warm. Hier muss sich Syndicate nicht verstecken und punktet mit den Frye-Zwillingen, die wohl stärksten Protagonisten seit Ezio Auditore da Firenze. Ich weiß, dort draußen gibt es jetzt einige Black Flag Fans, die aufschreien: “Edward Kenway!” – aber ich bevorzuge die Frye-Zwillinge.

Das modernere Setting, gepaart mit dem Missionsdesign, unseren Protagonisten und der stark verbesserten Fortbewegung, verläuft unter dem Strich zu einem gelungenen Abenteuer, das Serienfans mehr als zufrieden stellen dürfte. Klar gibt es auch Mankos: Die Gegenwart-Story ist wieder halbherzig erzählt, technisch gibt es einige Bugs, die auch mit den ersten Patches noch nicht behoben wurden und die Aussetzer der Lippensynchronisation bei deutscher Sprachausgabe ist mehr als ärgerlich.

Nichtsdestotrotz schafft es Syndicate, dass man sich über diese Fehler nicht so stark ärgert, wie man meinen könnte, denn vieles macht dieses Abenteuer verdammt richtig.

Also: Kapuzen aufsetzen, ab auf die Couch und London vor dem Untergang retten!

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