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Civilization VI im Test – Eine Runde noch…

Kaum eine Reihe begleitet mich schon so lange, wie Civilization. Seit über 15 Jahren versenke ich Runde um Runde und schmiede meine Nation vom kleinen Reich bis zum Global Player. Diplomatie, Militär, Wissenschaft, Kultur – schon seit Civilization II auf der Playstation 1 schlage ich meine Gegner auf immer komplexere Art und Weisen. Civilization VI könnte der Gipfel dieser Entwicklung sein – ob das stimmt, verrät unser Test.

“Noch eine Runde…” murmelt jeder Civilization-Spieler durch das inzwischen berühmte Civ-Syndrom. Seit über 15 Jahren entfaltet beinahe jeder Civilization-Ableger die gleiche Suchtwirkung und lässt uns bis spät in die Nacht eine Runde nach der anderen beenden. Und das ist auch in Civilization VI so. Kaum versieht man sich, ist man von der Stammesgesellschaft in das Informationszeitalter gesprungen – und auch einige Stunden vorwärts in der Zeit. Das ist das Qualitätsmerkmal einer jeden Runde Civilization. Und dieses Erlebnis hatte ich bereits in meiner ersten Partie Civilization VI.

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Kaum hatte ich als Trajan gestartet und Rom erbaut (das ging übrigens auch an einem Tag), schickte ich meinen Späher los und entdeckte kurzerhand den Stadtstaat Amsterdam. Die Stadtstaaten sind bereits aus Civilization V bekannt und sind im Prinzip nichts anderes als kaufbare Verbündete. In Civilization V musste man noch viel Geld, Mühe und Zeit in diese Staaten investieren, um kleine Vorteile zu erhalten. In Civilization VI hingegen zeigen sich schnell positive Vereinfachungen: Wir erhalten in regelmäßigen Abständen Gesandte, die wir in diese Stadtstaaten entsenden können – und die uns je nach Menge unterschiedliche Vorteile bescheren. Wer dem Stadtstaat am meisten Gesandte schickt, der wird zu seinem Verbündeten – und erhält militärische und wirtschaftliche Hilfe. Man muss wirklich aufpassen, dass man seine Gesandten richtig investiert. So einfach bekommt man die nämlich nicht wieder – da muss man dem Stadtstaat schon den Krieg erklären.

Generell ist in Civilization VI wesentlich mehr Planung nötig, um sein Reich optimal zu entwickeln. Grund dafür sind unter anderem die sogenannten “Bezirke”, die es nun erstmalig in Civilization VI gibt. Die Gebäude werden nun nicht mehr alle in die Stadt gepfercht, sondern auf sogenannte Handels-, Industrie- und Kulturbezirke verteilt, die auf Extrafeldern rund um die Stadt angelegt werden. Die interagieren untereinander und bieten je nach Regierungsform unterschiedliche Boni. Jetzt müssen also Gelände-Verbesserungen wie Minen und Farmen, Weltwunder und Bezirke sinnvoll um die Stadt herum platziert werden – und das erfordert viel Vorausplanung.

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Glücklicherweise hat Civilization VI alle Inhalte des Vorgängers übernommen und bietet direkt alle notwendigen Features wie die Religionsbildung oder verschiedene Regierungsformen. So können wir neben der normalen Forschung auch Ausrichtungen erlernen, mit denen wir unserer Regierung neue Merkmale hinzufügen können. Dabei haben wir die Wahl zwischen Systemen wie der Monarchie oder dem Faschismus und können die mit verschiedenen Boni wie günstigeren Einheiten oder verbesserten Handel aufpolieren. Kehren wir jemals zu einer früheren Regierungsform zurück, verfällt unser Reich in Anarchie. Wechseln wir aber im minutentakt zwischen verschiedenen Regierungsformen hin- und her – dann lässt das die Bevölkerung kalt. Diese logischen Merkwürdigkeiten trüben das ausgefeilte Feature.

Den anderen Herrschern ist das dafür aber nicht egal. Im Rahmen eines ausgetüftelten Diplomatie-Systems verfolgt jeder Herrscher eine Agenda – und toleriert keine Störungen. Wenn ihr zum Beispiel eine schwache Marine und ungeschützte Küsten habt, werdet ihr Schwierigkeiten mit den Norwegern bekommen. Auch wir haben mit jeder Ausrichtung neue diplomatische Möglichkeiten: So können wir uns immer wieder neue “Casi Belli” erschließen, also Kriegsgründe. Diese reichen von Überraschungs- bis Kolonialkrieg und sind sehr erfrischend, da sie auch unterschiedliche Voraussetzungen haben. Insgesamt ist die K.I. der verbleibenden Herrscher aber schlecht gewichtet. Während sie auf niedrigen Schwierigkeitsgraden eher passiv dahinwerkeln und an keiner Stelle eine großartige Bedrohung darstellen, so sind sie auf höheren Schwierigkeiten bissige Kriegshunde. Jede Annäherung an ihre Grenze kann zu einem Krieg führen.

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Der Grafikstil von Civilization VI stand schon lange vor Release heftig in der Kritik. Der beinahe comicartige, sehr weich gezeichnete Look von Civ VI ist noch ein ganzes Stück verspielter als seine Vorgänger. Die Grafik ist farbenfroh und kontrastreich, die Herrscher sehen teilweise aus wie Karikaturen. Aber was Studios wie Blizzard Entertainment seit 20 Jahren erfolgreich anwenden, nämlich einen weichen und verspielten Stil, das kann so schlimm ja nicht sein. Kurzgesagt: Uns gefällt der Stil von Civilization VI richtig gut. Ein all zu ernster Stil bekäme dem Spiel VI nicht. Der frische Look lockert das Gameplay dafür eine ganze Ecke auf und verpasst den Einheiten neue, runde Animationen. Dazu kommt ein passender Soundtrack, der die verschiedenen Epochen schön untermalt und uns auch nach 300+ Runden nicht aus den Ohren raushängt.

Wo Civilization 6 in Sachen Sound und Grafik punktet, da macht es Abstriche in Sachen Interface. Entwickler Firaxis hat sich bemüht, die Menüs möglichst simpel zu gestalten – wie man es auch aus früheren Spielen kennt. Leider wird sowohl die normale, als auch die eigentlich simpel gedachte Strategiekarte gerade im späteren Spiel schnell durch Ressourcen-, Einheiten und Distriktsymbole überladen – ganz ohne Möglichkeit, ganz bestimmte Symbole einfach auszublenden. Auch die Untermenüs für Regierungsbildungen und Forschungen werden gerne unübersichtlich – vor allem Erstere, sobald die Zahl der Optionen und Boni zunimmt. Da hätten wir uns eine zusätzliche Sortierfunktion gewünscht.

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Unser Fazit:
Civilization ist und bleibt ein Suchtmittel. Auch der sechste Teil bricht nicht mit der Tradition und verleitet mich zu Spielen bis tief in die Nacht hinein. Die wenigen Fehler in den Designentscheidungen betreffen glücklicherweise nicht die Grafik, sondern bloß die Interfaces – und sind absolut zu verkraften. Insgesamt ist Civilization VI trotz mutiger neuer Ansätze ein rundum gelungenes Spiel, das jeden Fan der Reihe – und von Rundenstrategie allgemein – glücklich machen dürfte.

Ich spiele dann mal noch eine allerletzte Runde.

Wertung: (4.5 / 5.0)
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