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We Happy Few im Test – Glück in Pillenform

Etwas über 7400 Unterstützer auf Kickstarter, zwei Jahre im Early Access und seit dem 10. August endlich in seiner finalen Version erhältlich. Die Rede ist von The Happy Few, dem neuen Titel des kanadischen Studios Compulsion Games. Wir haben uns das dystopische Action-Adventure für euch angeschaut. Was es taugt, das zeigt der Test.

We Happy Few spielt in England des Jahres 1964. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges wurde England von den Deutschen besetzt und in eine Diktatur verwandelt. Die Ereignisse, die darauf folgen sollten, haben das kollektive Gedächtnis der Briten stark belastet. Als Mittel der Vergangenheitsbewältigung müssen alle Einwohner Englands sogenannte “JOY”-Tabletten, extrem starke Stimmungsaufheller, zu sich nehmen. Die Konsequenzen: Ein breites Grinsen auf dem Gesicht und eine rosarote Brille auf der Nase. Nimmt man sein JOY, ist man für alle schlechten Seiten des Lebens und der Vergangenheit blind – nimmt man es nicht, sieht man die Realität und wird als “Downer” gejagt. Die Geschichte von We Happy Few wird anhand von drei Charakteren erzählt: Arthur Hastings, ein Zensor für Zeitungsartikel; Sally Boyle, der Erfinderin von “JOY” und dem ehemaligen Soldaten Ollie Starkey.

Die Hintergründe der desolaten Zustände in England werden in Rückblenden, mit ernsten Einschüben während der sonst charmanten und augenzwinkernden Dialoge und in sammelbaren Schriftstücken erzählt. Durch Slogans wie “Happy is the Country with no Past” und “In Posterium cum Gaudio” werden bereits zu Beginn Kenner des berühmten Werks “1984” von Orson Wells einige Parallelen der beiden Gesellschaften aus dem Buch und We Happy Few entdecken: Eine verblendete Gesellschaft, Veränderung der Vergangenheit durch Zensur und Nahrungsmittel wie das “Victory Meat” (in “1984” ist es der ölige Victory Gin). Arthur Hastings übt zusätzlich die gleiche Tätigkeit wie die Hauptfigur aus 1984, Winston Smith, aus: Für die Staatspropaganda die Presse zensieren, den Tod von Menschen als “Urlaub” bezeichnen. Insgesamt lässt sich We Happy Few Zeit mit seiner Geschichte. Durch die abwechslungsreiche Story, die überzeugenden Charaktere und die völlig überzogene dystopische Welt will man aber immer mehr wissen und bleibt im Bann des “Alternative History”-Dramas.

Was We Happy Few spielerisch aber erreichen möchte, das wird nicht wirklich deutlich. Das kanadische Entwicklerstudio bedient sich in zu vielen Genres, ohne sich auf die wirklichen Stärken des Titels zu konzentrieren: Das Setting und die Geschichte. Zu oft werden wir von unserem Schlafbedürfnis, Hunger, Durst, Lebensmittelvergiftungen oder Blutungen aus der Story gesogen und müssen uns um notwendige Übel kümmern – etwas essen, einen Verband herstellen, die Vergiftung aushalten und keinen Kampf beginnen. Ich verstehe, dass We Happy Few sich damit abheben möchte, aber in Summe wird so eine Menge Potenzial verschenkt. Ein stärkerer Fokus auf die spritzigen Dialoge, die abgefahrene Story, das einzigartige Setting – das hätte sich gelohnt.

Das Kampfsystem von We Happy Few ist nichts Besonderes. In der Haut von Arthur können wir Angriffe blocken, Gegner schubsen, mit Spaten, Knüppeln oder Stöcken verprügeln oder einfach leise von hinten ausschalten. Da Sally eine Meisterin des Schleichens ist und Olly gerne mit Sprengstoff hantiert, gibt es dank den verschiedenen Charakteren eine gewisse Abwechslung. Diese Art von Kämpfen kennen wir aber aus zig anderen Spielen und das Stealth-System beschränkt sich auf das Verstecken in Rosenbüschen, das Ablenken von Wachen durch geworfene Flaschen und das Ausschalten auf Knopfdruck. Diese Momente gehören nicht zu den stärksten Szenen.

Das Crafting-System stammt ebenfalls aus dem “Ein-mal-Eins” beinahe aller Survival-Games: Finde Metallstücke, Stofffetzen und Kräuter – bastel Dietriche, Bandagen und Brechstangen. Jedes Survival-Game aus dem Early Access-Programm, egal ob erfolgreich oder nicht, nutzt genau diese Mechanik. Compulsion Games hat seinen absolut hervorragenden Ansatz mit ausgelutschten und einfach nicht spaßigen Features verwässert, die bereits andere Titel besser umgesetzt haben. Dazu kommt ein Skill-System, das zwar nicht wirklich neu ist, aber mit Skills wie “Bloody Hell” (“Make Enemies bleed. More.”) oder “Oh you!” (“Die Menschen ertragen deine nervigen Angewohnheiten.”) immer wieder ein Schmunzeln auf mein Gesicht zaubert.

Dennoch: Der beste Part von We Happy Few ist und bleibt die Umsetzung seines dystopischen Settings. Der krasse Gegensatz von durch Ruinen schlurfenden, desolaten “Downern” und den JOY-schluckenden Bürgern samt Gesichtsbemalung und breitem Grinsen ist göttlich. We Happy Few bringt das beste und abgefahrenste dystopische Setting seit zehn Jahren auf den Markt – nämlich seit der Veröffentlichung der Bioshock-Reihe. Ein cooler, comichafter Look, gepaart mit völlig überzogenen Charakteren, charmanter Humor, glaubhaftes Storytelling und eine beinahe spürbare Anspannung, die auf der gesamten Bevölkerung Englands liegt – das macht das Spiel so besonders. We Happy Few machte mir nämlich eine riesige Menge Spaß und das lag beinahe ausschließlich an der Art und Weise, wie Compulsion Games seine Idee in We Happy Few präsentiert. Die Aufmachung rettet das Spiel. Und das rechne ich Compulsion Games sehr hoch an.

Unser Fazit:
Ach, was mache ich bloß mit “We Happy Few”. Das Gameplay ist schal, die Mechaniken kennt man tausendfach – und doch muss ich gestehen, dass ich vom Setting in We Happy Few so eingesogen und unterhalten worden bin, wie schon lange nicht mehr. Was Compulsion Games da gezaubert hat, verschenkt zwar vielfach eine Menge Potenzial, ist aber einfach bezaubernd. Es hat mir eine große Freude bereitet, in das dystopische England der 1960er Jahre einzutauchen und die Geschichte der Protagonisten zu erleben. Mit We Happy Few muss ich schimpfen, den Zeigefinger heben: Konzentriert euch auf das wesentliche und lasst das ganze Survival-Gedöns am Straßenrand der Entwicklung liegen. Aber ich schimpfe mit einem Schmunzeln und muss auch sagen: Danke, Compulsion Games, für so ein spaßiges Abenteuer.

Wertung: 3.9 out of 5 stars (3,9 / 5)

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