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Bleeding Edge im Test – Der nächste Overwatch-Kontrahent

Mit Bleeding Edge bringen die Singleplayer-Profis von Ninja Theory einen eigenen Hero-Shooter von der Sorte Overwatch & Co. auf den Markt. Was das Team-Geballer taugt und ob es der nächste Anwärter auf den Thron ist, das klärt der Test.

Man darf mich getrost einen Overwatch-Junkie nennen. Seit zur Gamescom 2015 erstmalig spielbares Material gezeigt wurde und ich dutzende Matches vor Ort absolviert hatte, war es um mich geschehen: Ich bin hooked. Umso gespannter verfolge ich auch, was die Konkurrenz so zaubert. Denn sind wir mal ehrlich: Sobald ein Vorreiter ein Genre definiert, wird es von Nachahmern geflutet. Das ist Spielen wie Dark Souls, DOTA und League of Legends passiert – auch Overwatch ist keine Ausnahme. Versuche anderer Studios wie Battleborn, Paladins und Paragon sind am Konzept “Hero-Shooter” mehr oder weniger gescheitert. Als ich aber hörte, dass Ninja Theory selbst einen solchen Versuch unternimmt, wurde ich hellhörig. Die Macher von Hellblade: Senua’s Sacrifice und Enslaved: Odyssey to the West? Das könnte was werden.

Vorweg kann gesagt werden: Bleeding Edge erfindet das Rad nicht neu – im Gegenteil. Es bedient sich sogar recht offensichtlich bei Vorbildern wie Paladins und Overwatch. Am Anfang steht die Heldenwahl: Aus einem Roster von 11 Charakteren wählen die beiden jeweils vier Spieler starken Teams ihren Helden. Hier stehen Tanks, Damage Dealer und Healer zur Auswahl – Genre-Standard eben.

Haben wir uns für einen der Helden entschieden, landen wir auf eine von fünf verfügbaren Maps und in einem von zwei Modi. Egal, welchen Namen man den Modi gibt, Kenner alter Shooter wissen Bescheid: Es sind King of the Hill und Capture the Flag. Bei King of the Hill gilt es, einen Teil der Map zu erobern und so lange wie möglich zu halten, um genügend Punkte für den Sieg zu erringen. In Capture the Flag müssen Energiezellen gesammelt und beim Ziel abgegeben werden. Tun wir das oft genug, gehört der Sieg uns.

Das klingt alles schön einfach, wären da nicht die gegnerischen Spieler. Nachdem wir auf einem Board auf die Map gersurft sind, müssen natürlich noch die anderen Spieler vor dem Sieg aus dem Weg gefegt werden. Das tun wir mit unseren Basisfähigkeiten, Spezial- und Superfähigkeiten. Die Basisfähigkeiten bestehen aus Grundmechaniken wie Paraden oder normalen Angriffen. Die Spezialfähigkeiten kennen wir aus Overwatch & Co.: Das sind für den jeweiligen Helden einzigartige Moves wie beispielsweise das Aufstellen von Geschütztürmen oder besonders harte Schläge. Der Wild-West-Gauner Bastardo dreht sich auf Knopfdruck schnell im Kreis und erzeugt mit seinen Macheten einen Todeswirbel, der nahen Gegnern Schaden zufügt.

Die Superfähigkeiten sind das Pendant zu den Ultimates aus Overwatch. Laden wir die Superfähigkeiten während des Matches auf, entladen wir besonders starke Attacken, die gerne mehrere Gegner ausschalten können. Cool ist zum Beispiel der Metalhead Nidhöggr, der mit seinem Gitarrensolo alle Gegner um sich herum betäuben kann. Der Headbanger gehört nämlich zu den am coolsten gestalteten Charakteren in Bleeding Edge.

Was beim Genreprimus Overwatch tadellos funktioniert, ist bei Bleeding Edge nicht gut gelungen. Durch die Third Person-Perspektive wirken die Kämpfe wesentlich weniger actionreich als bei der Konkurrenz. Dazu kommt die vergleichsweise kleine Teamgröße von vier Spielern, für die die Maps eindeutig zu groß geraten sind. Wenn man dann noch einen Helden wie BSP wählt, der mit wenig Mobilität und hauptsächlich Nahkampf-Fähigkeiten gestraft ist, wird eine actionreiche Auseinandersetzung zur stumpfen Verfolgungsjagd. Hier merkt man eindeutig die Vorteile, die Overwatch in puncto Mapdesign bietet: Karten wire Horizon: Lunar Colony, Paris oder Anubis strotzen nicht nur so vor Details, sondern haben auch klar erkennbare Chokes und Hotspots, an denen sich die Kämpfe sammeln. Das vermissen wir in Bleeding Edge.

Ein paar Innovationen bietet Bleeding Edge dennoch – ob man die gut findet, das ist Geschmackssache. Gegen Erfahrungspunkte erhalten wir sogenannte Mikrochips, mit denen wir die Stats unserer Helden verbessern können. Mehr Damage? Kürzere Abklingzeiten? Mit Mikrochips kein Problem. Das führt aber unweigerlich dazu, dass man mit der Zeit Vorteile gegenüber Neueinsteigern generiert. Gut für erfahrene Spieler, unfair gegenüber neuen Accounts oder Frischlingen. Das “even playing field” eines Overwatch trifft da eher meinen Geschmack.

Wie von Ninja Theory zu erwarten war, ist die Gestaltung der Helden aber schön ausgefallen. Im Team von Ninja Theory sitzen eben echte Design-Monster. Spiele wie Hellblade: Senua’s Sacrifice und DmC: Devil May Cry kommen ja nicht von irgendwoher. Ob es nun Nidhöggr, Buttercup oder Daemon ist – alle Helden sind zwar nicht so einprägsam wie ein Roadhog oder Reaper aus Overwatch, aber doch ziemlich cool!

Technisch läuft Bleeding Edge solide. Bis auf ein paar Stotterer und Lags in Online-Matches laufen die Begegnungen zufriedenstellend ab. Einen Ranglisten-Modus gibt es noch nicht, ebenso ist die Auswahl von 11 Helden und 5 Maps noch recht klein. Aber das ist definitiv verzeihbar! Auch ein Overwatch brauchte ewig für seinen Ranglisten-Modus, neue Helden und Maps wurden erst später hinzugefügt. Sollte Bleeding Edge genügend Unterstützung erhalten, darf man sich sicher auf neue Inhalte freuen – denn davon leben Team-Shooter.

Der Artstyle von Bleeding Edge sieht cool aus und ist eindeutig eine der Stärken des Hero-Shooters. Die Levelgestaltung mischt abgefahrenen Borderlands-chic mit einem Hauch Cel-Shading. Die Helden hingegen sind ziemlich detailreich und markant ausgefallen. Die kurvige Tank-Dame Buttercup hat zum Beispiel Motorenzylinder als Lockenstäbchen und dem düsteren Metalhead Nidhöggr wurde der Unterkiefer durch eine metallene Prothese ersetzt. Cool!

Unser Fazit:

Schuster, bleib bei Deinen Leisten! So lassen sich meine Eindrücke zu Bleeding Edge zusammenfassen. Es ist kein wirklicher Anwärter auf den Genre-Thron. Dafür steckt zu wenig Innovation in dem neuen Titel von Ninja Theory. Leblose und zu große Maps, abgegriffene Modi, abgeguckte Mechaniken – das reicht nicht für das harte Geschäft mit Hero-Shootern. Ninja Theory ist herausragend bei Singleplayer-Adventures: Hellblade, Heavenly Sword & Co. sind grandiose Spiele mit einzigartigen Ideen. Und da sollte Ninja Theory seine Energie investieren. Denn Bleeding Edge füllt keine Nische und wird vermutlich von der Bildfläche verschwinden, wenn nicht schnell Innovationen kommen.

Für verzweifelte Gegner von Overwatch ist Bleeding Edge sicher einen Blick wert. Alle anderen bleiben besser bei bekannten Alternativen.

Wertung: 2.9 out of 5 stars (2,9 / 5)

Ein Kommentar

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  1. Trotz allem, was Bleeding Edge richtig macht, fühlt es sich wirklich wie die “frühen Tage” des Spiels an. Ich würde gerne glauben, dass Microsoft und Ninja Theory das Spiel weiter optimieren und erweitern werden, damit es mit anderen wettbewerbsfähigen Multiplayer-Spielen konkurrieren kann. Doch im Moment fühlt es sich noch ziemlich leer an. Jedoch hat das Game definitiv potenzial.

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